„Saisonierkontingente sind aus der Steinzeit“
gastroreport: Herr Rainer, hat die Gastronomie derzeit ein Imageproblem? In den meisten Medien sind die Wirte ja fast im Alleingang für unsere hohe Inflationsrate verantwortlich.
Alois Rainer: Es wird oft wie ein Imageproblem dargestellt, doch wenn man einen genauen Blick darauf wirft, ist zu erkennen, dass wir eigentlich die ersten sind, die von diesen Mehrkosten betroffen sind, sei es Energie oder Einkauf. Beim Rindfleisch etwa gab es im vergangenen Jahr exorbitante Erhöhungen, und wir müssen diese Erhöhungen natürlich weitergeben, damit unsere Betriebe wirtschaftlich gut dastehen, damit wir unseren Mitarbeitern ein gutes Umfeld und auch eine gute Entlohnung bieten können. Dabei können 85 Prozent der Betriebe die gestiegenen Kosten gar nicht zur Gänze an den Gast weiterreichen. Die Preise in der Gastronomie entstehen ja nicht aus Jux und Tollerei, sondern das sind wirtschaftliche Entscheidungen.
Die Leitungswasser-Diskussion ist schon uralt, aktuell sind es Themen wie Timeslots, Zusatzgebühren für einen zweiten Teller, wenn man sich ein Gericht teilen möchte, das Verrechnen von Senf oder Ketchup selbst bei Gerichten wie Berner-Würstel – machen es manche Kollegen aktuell den Kritikern nicht zu einfach? Leidet unsere Gastlichkeit nicht tatsächlich manchmal?
Ich will gar nicht abstreiten, dass es überall auch schwarze Schafe gibt. Aber generell sind die Gastronomen natürlich an zufriedenen Kunden interessiert. Denn nur zufriedene Gäste kommen auch wieder. Aber eines ist natürlich auch klar: Wenn zehn Gäste kommen und nur fünf Hauptspeisen bestellt werden, dazu aber fünf Extra-Teller fünfmal Besteck und fünf Stoffservietten, dann verursacht das natürlich auch Kosten. Und wenn man hier einen kleinen Obolus einhebt, den aber natürlich auch entsprechend kommuniziert – auf der Speisekarte oder wo auch immer – dann sollte das kein Problem sein. Wichtig ist die Kommunikation in dem Fall. Ich kennen niemanden, der ein Problem damit hat, wenn etwa ein kleines Kind einen Extra-Teller möchte, um bei den Eltern mitzunaschen. Und zu der Leitungswasser-Diskussion, die uns immer wieder einholt: Es ist Usus, dass man ein Glas Leitungswasser zu einem Kaffee dazu stellt. Es ist bei uns üblich, dass wir einen Krug Wasser zu einer Flasche Wein servieren, aber wenn zehn Personen vom Radlfahren kommen und außer Leitungswasser nichts konsumieren, dann wird man sich etwas überlegen müssen.
In Deutschland ist der traditionelle gastronomische Mittelstand schon großflächig weggebrochen, in manchen Regionen findet man nur noch Ethno- und Systemgastronomie. Sehen Sie diese Gefahr auch für Österreich?
Wir sehen schon, dass es in den letzten Jahren eine gewisse Veränderung gegeben hat. Das klassische Wirtshaus, das in der Früh auf- und um Mitternacht zusperrt, das auch ein Mittagessen oder eine Jause anbietet, dass diese Betriebe weniger werden. Was dafür bei uns wieder mehr wird, sind Restaurants. Also in Summe wird die Anzahl der Betriebe nicht weniger, aber die Betriebsformen ändern sich. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass es einen Wandel in der Bevölkerung gibt.
Nehmen Sie meinen Betrieb in Strass im Zillertal als Beispiel. Uns gibt es seit 1840 und auch wir haben unsere Speise- oder Weinkarte immer verändert und angepasst. Wir haben jetzt sogar alkoholfreie Weine auf der Karte – und auch vegane Speisen. Denn wie schauts denn konkret aus, wenn etwa fünf Freundinnen sich treffen und essen gehen wollen und eine von denen ist Veganerin? Wohin gehen die fünf? Die gehen dorthin, wo es auch ein veganes Angebot gibt. Ohne veganes Angebot schließe ich diese Personengruppe komplett aus. Die Entscheidung für einen bestimmten Betrieb wird in so einem Fall von der Minderheit getroffen. Das ist eine völlig wertfreie Analyse. Und auch wenn wir ein sehr traditionelles Lokal sind, mit einem hohen Anteil von Einheimischen, haben wir uns dazu entschlossen, vegane Gerichte auf die Karte zu nehmen, um für ein möglichst breites Publikum attraktiv zu sein. Man muss halt jeweils wissen, wo der Standort, wer das Zielpublikum ist. Einfach aufsperren und drauf los kochen funktioniert nicht.
Apropos vegan: Seit kurzem gibt es ja in Österreich die vegetarische Kochlehre. Ist dieses Angebot für Sie zielführend? Ist der Bedarf an vegetarischen Köchen in der Branche wirklich groß genug? Oder züchtet man hier reihenweise AMS-Kunden?
Grundsätzlich freue ich mich über jeden neuen Lehrberuf, der das Potential hat, junge Leute für unsere Branche zu begeistern. Ich sehe das jetzt mal als Versuch. Wenn das fruchtet: super! Wenn nicht, dann braucht man sich zumindest nicht vorwerfen, dass man es nicht probiert hätte. Die Frage ist natürlich, wo der Bedarf für vegetarische Küche ist. Ich sehe diesen Bedarf vor allem in großen Städten, in der Nähe von Universitäten, also in Wien, Graz oder Innsbruck. Aktuell gibt es für die vegetarische Kochlehre aber auch nur sechs Lehrverträge: fünf in Wien und einen in Kärnten. Und Betriebe, die sich für eine solche Ausbildung interessieren, sind zur Zeit 19 in ganz Österreich, davon in Tirol keiner. Es sind ja auch noch einige Fragen rund um die ganze Ausbildung offen. Ganz so einfach ist das nicht. Für eine neue Lehre braucht es ein Berufsbild, Berufsschulstandorte, Prüfungsverordnungen, etc. Aber noch einmal: Dass man Menschen, die sich vielleicht vorher nicht so für die Gastronomie interessiert haben, die Türe mit neuen Berufsbildern ein wenig öffnet, finde ich gut!
Wie sieht es derzeit denn generell an der Mitarbeiterfront aus? Gefühlt sind zwar schon noch in vielen Betrieben Stellen frei, aber der Personalmangel ist – wohl auch aufgrund gestiegener Löhne – nicht mehr so extrem wie noch vor zwei Jahren. Stimmt dieser Eindruck?
Das ist speziell im saisonlastigen Westen etwas anders. Da braucht man eigentlich immer saisonale Mitarbeiter, die regional verfügbar sind. Es stimmt, dass nach Corona der Mitarbeitermangel extrem war, weil sich im Zuge der Lockdowns viele Mitarbeiter um Alternativjobs umgesehen haben. Aktuell kommen zum Glück wieder viele in unserer Branche zurück, wir brauchen aber auch Rahmenbedingungen, die es uns ermöglichen, qualifizierte Mitarbeiter aus dem EU-Ausland, also aus Drittstaaten zu uns zu holen, um die saisonalen Spitzen abzudecken.
Also ein brauchbares Saisonierkontingent?
Saisonierkontingente sind ein Regulatorium aus der Steinzeit. Wir haben einen Arbeitnehmermarkt. Man braucht kein Rechenkünstler sein, um zu wissen, dass wir mehr Mitarbeiter brauchen, als derzeit verfügbar sind. Deshalb brauchen wir einen geregelten Zuzug, sonst können wir auf Dauer die Qualität und das Dienstleistungsversprechen, das wir bei jeder Buchung abgeben, nicht halten.
Auf der FAFGA wurde soeben ein Küchenroboter vorgestellt, der rund um die Uhr, 7 Tage die Woche bis zu 1300 Gerichte am Tag herstellen kann. Ohne Krankenstand, Urlaub, etc. Ist das ein Zukunftsweg aus dem Personalmangel, zumindest für die Systemgastronomie? Serviceroboter, die die Gerichte zu den Gästen bringen oder beim Abservieren helfen, gibt es ja auch schon länger.
Also die Serviceroboter sind sicher ein netter Gag, zum Beispiel in Kinderhotels, die kann man auch streicheln, die miauen dann oder sie haben einen lustigen Spruch drauf. Das ist super. Allerdings: Zum Teller abräumen ja, zum Servieren nein. Den Küchenroboter kenne ich schon länger. Von der Technik her finde ich das ungeheuer spannend. Die KI im Hintergrund finde ich auch großartig. Die Einsatzgebiete sehe ich für dieses Gerät am ehesten in Kantinen oder in der Gemeinschaftsverpflegung. In der klassischen Gastronomie tu ich mir damit eher schwer. Ich denke, diese Technik darf man nicht als Ersatz sehen, sondern nur als Ergänzung oder Unterstützung. Dieser Roboter bestückt ja auch nur Induktionsherde mit Töpfen, die von einem Roboterarm befüllt werden. Ein normales Schnitzel wird der nicht hinbekommen. Wir reden hier von Bowls, einem Gröstl, vielleicht Käsespätzle und selbst da muss ich die Spätzle vorproduzieren. Es ist aber sicher eine spannende Technik und es gibt Bereiche, wo sowas in Zukunft von Nutzen sein kann. Wichtig wird sein, dass man den Roboter mit den eigenen Rezepten füttert. Denn sonst produziert irgendwann eine Firma für ganz Tirol die Spätzle und eine andere die Käsemischung und man bekommt dann von Landeck bis Kufstein überall die gleichen Käsespätzle.
Auch Roboter zum Mixen von Cocktails gibt es schon länger. Aber bis auf einige Events habe ich so etwas eigentlich in einer echten Bar auch noch nicht im Einsatz gesehen.
Sowas ist vielleicht witzig, aber es gibt keine Empathie, es gibt keinen lockeren Spruch, es gibt kein Augenzwinkern. Und diese Empathie gehört ja zu unserem Beruf dazu. Wir sind Dienstleister. Wir unterhalten uns gerne mit unseren Gästen und wir sind ab und zu auch die Person, der private Probleme umgehängt werden. Das ist manchmal echt eine psychotherapeutische Funktion, wenn man dem Gast einfach zuhört. Und sowas kann ein Roboter halt nicht.
Die verpflichtende Herkunftsbezeichnung geistert schon lange herum. Ihr Vorgänger Mario Pulker hat diese immer vehement abgelehnt. Die Debatte darüber dürfte jedenfalls so bald nicht enden. Wird sich die Gastronomie noch lange dagegen wehren können oder muss man der Realität bald ins Auge sehen?
Die Herkunftsbezeichnung sehe ich pragmatisch. Wir setzen so was bei uns schon seit über zehn Jahren um. Da tu ich mir mit meinem Betrieb im Zillertal, mit einer Landwirtschaft daneben, aber auch leicht. Dass es einen gewissen Zug zur Regionalität gibt, erkennt man. Ich bin allerdings gegen eine gesetzliche Verpflichtung. Man müsste stattdessen einen positiven Sog erzeugen, wir müssten die Leute mitnehmen und damit einen Mehrwert schaffen.
Fördert eine Verpflichtung zur Herkunftsbezeichnung nicht auch die Bürokratie? Es wird Betriebe geben, die ihre Steaks im C&C-Markt einkaufen und je nach Qualität und Preis das Fleisch einmal aus Österreich, einmal aus den USA und einmal aus Uruguay nehmen.
Ja natürlich ist das auch ein Thema. Wir haben jetzt schon in Kleinbetrieben einen bürokratischen Aufwand von zehn bis zwölf Stunden pro Woche. Wenn das immer mehr wird, brauchst du in größeren Betrieben dann bald eine ganze Arbeitskraft, die sich nur um alle Regulatorien kümmert. Da bin ich eher ein Freund der Deregulierung. Es wird auch von manchen Seiten gerne dargestellt, dass alles, was nicht aus Österreich kommt, schlecht ist. Das stimmt aber natürlich nicht. Wir müssen Regionalität neu denken. Ein Beispiel: Wenn ich in Tirol von einem bayrischen Metzger, der 100 km Luftlinie entfernt ist, etwas kaufe, dann ist das nicht regional, denn Regionalität endet an der Landesgrenze. Wenn ich etwas aus Niederösterreich kaufe, aus 300 oder 400 km Entfernung, dann soll das schon regional sein? Also reden kann man prinzipiell über alles, aber eine blinde Verpflichtung halte ich für den schlechtesten Weg.
Und weil das alles noch nicht reicht – Allergene, Herkunftsangaben – wünschen sich manche auch Nährwert- oder – ganz neu – CO2-Angaben auf der Speisekarte. Ist die Zeit, wo man im Wirtshaus einfach ein Schnitzel und ein Bier bestellt hat, ohne auf die Rettung der Welt zu achten, vorbei?
Also verpflichtende CO2-Angaben oder sowas, sind ja kompletter Schwachsinn. Was kommt dann als nächstes? Soll ich vom Gast einen Nachweis fordern, wie er angereist ist, öffentlich oder mit dem Auto? Wie viele Personen waren im Auto und wie hoch war der Luftdruck der Reifen? Da wird’s ja skurril.
Wie werden sich nach Ihrer Meinung die kommenden Monate in der heimischen Gastronomie entwickeln, wie ist die Stimmung in der Branche? Mit Wild- und Ganslwochen, Weihnachten und Silvester sollte ja jetzt ein wesentlicher Teil des Jahresumsatzes gemacht werden.
Grundsätzlich ist die Stimmung gut. Es beginnen jetzt auch überall die Spezialitätenwochen, vom Törggelen, über den Weinherbst bis zu den Gansln. Die Zusammenarbeit zwischen Gastronomie, Tourismus und Landwirtschaft, die generell nötig ist, funktioniert zum Glück sehr gut.